Montag, 3. März 2014

Heute schon gelogen?




Auf die Frage antwortet jeder im Brustton der Überzeugung mit „Nein, natürlich nicht!“. Doch seien wir mal ehrlich, manchmal vertuschen wir die Wahrheit.
 
Ungefähr zweimal täglich, so heißt es, verdrehe jeder Mensch die Wahrheit oder auch in zwei von drei Gesprächen, die mindestens zehn Minuten dauern. Es kursiert auch die Zahl von 200 Lügen pro Tag in den Medien, oft zitiert – doch ohne Beleg. 




Fakt ist: Alle lügen, aber niemand will belogen werden.



Schauen wir erstmal ins Tierreich: Können Affen überhaupt lügen? 

 

Der Gorilla Michael zerriss einmal die Jacke seiner Trainierin Ellen. Sie fragte ihn: "Wer war das?" Michael zeigte seine Käfiggenossin. Ellen fragte nach. Michael probierte es mit noch einem anderen Namen (diesmal ein menschlicher Betreuer); aber am Ende, als Ellen nicht nachließ, beichtete er dann doch: "Mike."
Das ist eine bewusste Täuschung. Auch jenseits solcher Anekdoten in kontrollierten Experimenten zeigt sich, dass jedenfalls die allernächsten Verwandten des Menschens die Finessen des Vertuschens beherrschen.

Das Talent zur Lüge sitzt dem Menschen seit Urzeiten in den Genen. Die Sprache hat geholfen, es zu perfektionieren. Zwar gibt der Mensch vor, die Wahrheit zu lieben, aber er kann sich nicht immer daran halten, diese Neigung wohnt ihm inne, er kann nicht anders.
Jeder lügt. Politiker geben falsche Wahlversprechen, Schriftsteller verkaufen Plagiate als ihr Werk, Manager beschönigen Bilanzen. Frauen täuschen über ihre Lust im Bett, Männer über die Tiefe ihrer Gefühle für die Frau in ihrem Bett.


Die Motive des Lügners 

 

Es zeigt sich: Der Mensch ist tatsächlich zum Lügen geboren.

Selten führt der Mensch dabei Böses im Schild. Es geht meistens nicht darum Geschichten zu erfinden, um den Gegner zu vernichten oder zu bluffen, oder um Leute zu betrügen, zu bestehlen, zu erniedrigen. 

Viele Menschen tricksen sich mit vielen kleinen Täuschungen durchs Leben; meist steckt die Angst vor Strafe oder Gesichtsverlust dahinter.

Scham kann ein Motiv sein ("Nein, ich hab gestern Abend nichts getrunken, keine Ahnung, wie die Beule ins Auto gekommen ist"), wir werden aber auch erfinderisch, wenn wir Kritik fürchten ("Natürlich habe ich den Kunden rechtzeitig gewarnt"), und dosieren die Wahrheit, wenn es darum geht, die Ehe zu erhalten ("Tom ist wirklich nur ein guter Freund") oder die Freundschaft ("Was für ein süßes Baby!"). Auch die Höflichkeit verlangt nach Ausflüchten ("Wirklich, das Essen war köstlich").

Die Schönfärbereien, Mehrdeutigkeiten und Ausweichmanöver dienen der Psychohygiene, sie sind Weichzeichner der Wirklichkeit. Jedenfalls gilt das für die sogenannten prosozialen Lügen, die der Amerikaner "white lies" nennt. "Sie sind lebenswichtig", sagt Aldert Vrij, Lügenforscher an der University of Portsmouth, "das Leben wäre rau und grausam, wenn die Leute immerzu die Wahrheit sagten."


Die Interpretation

 

Vor allem geht es darum, wie wir selbst Wahrheit und Unwahrheit bewerten, die eigene und die der anderen.
Das kann die folgende Lügengeschichte zeigen. Sie spielt 1944.
Jakob, der Bewohner eines polnischen Ghettos schnappt zufällig einige Fetzen aus einem Radio auf. Ihm wird bewusst, dass diese Nachricht den Ghettobewohnern einen konkreten Anlass zum Durchhalten geben würde. Um die Glaubwürdigkeit seiner Information zu erhöhen, behauptet Jakob,  er habe ein Radio. Er erfindet also ein Radio und gibt dessen angebliche Meldungen an seine Mitgefangenen weiter. Der Besitz eines solchen Radios ist im Ghetto natürlich verboten. Durch seine Notlüge gerät Jakob in die Zwangslage, ständig
neue Nachrichten erfinden zu müssen, was zu tragikomischen Situationen führt.

Durch die Lügen schöpfen die Ghettobewohner hingegen einerseits wieder Hoffnung. Sie schmieden Pläne. Die Selbstmordrate geht zurück. Man wartet voller Zuversicht auf die Befreier. Andererseits befürchten einige der Leidensgenossen, dass die Entdeckung des Radios durch die deutschen Besatzer so kurz vor der Befreiung alle gefährden könne.
Der Roman „Jakob der Lügner“ (Jurek Becker) erzählt von einem Mann, der mit seiner Lüge die Illusion von Freiheit und Zukunft schafft und zugleich sein Leben aufs Spiel setzt.

Ich habe festgestellt, Lügen ist ein schier unerschöpfliches Thema. Deswegen folgt bald Teil 2 "Wie man Lügen erkennt!"

Nu sag mein lieber Leser, wie hältst du es mit der Wahrheit und der Lüge? 



V. Krytzner für Stimmperlen

Bild: ©sakkmesterke - Fotolia



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